Mit der Musterfeststellungsklage soll es Verbrauchern erleichtert werden, Schadensersatzansprüche gegenüber großen Unternehmen, wie Volkswagen oder Daimler geltend zu machen. Der Gesetzgeber hat zum 01.11.2018 die Musterfeststellungsklage beschlossen.
Was ist die Musterfeststellungsklage?
Eine Musterfeststellungsklage im Abgasskandal, fälschlicherweise auch oft als Sammelklage bezeichnet, soll dazu dienen, eine Feststellung zu erreichen. Am Ende des Verfahrens steht kein Urteil, bei dem klar ist, wer wie viel Schadensersatz bekommt, sondern es wird festgestellt, ob ein Hersteller generell schadensersatzpflichtig ist.
Die Vorteile des Verfahrens liegen zunächst auf der Hand: Verbraucher können ohne Kostenrisiko teilnehmen und es lässt sich mittels des Verfahrens die Verjährung hemmen. Gerade die Verjährungshemmung setzt aber eine wirksame Anmeldung voraus und hier liegen Fallstricke für die Verbraucher. Zudem müssen alle Teilnehmer einer Musterfeststellungsklage im Anschluss des Verfahrens noch individuell auf Schadensersatz klagen. Das Problem dabei: die Verfahren können sich lange ziehen und die Kläger verfahren während dieser Zeit sozusagen ihre Ansprüche, falls sie sich am Ende eine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer anrechnen lassen müssen.
Vorteile der Musterfeststellungsklage
- Verjährung wird gehemmt
- Es entsteht kein Kostenrisiko
- Positives Urteil erleichtert anschließende Durchsetzung der indivuellen Ansprüche
Nachteile der Musterfeststellungsklage
- Kann sehr lange dauern, wobei Ansprüche verfahren werden
- Es kann keine individuelle Vergleichslösung verhandelt werden
- Vergleichsangebot dürfte klar unter der möglichen Rückzahlung einer gewonnenen Einzelklage liegen
Wie funktioniert die Musterfeststellungsklage?
Mit der Musterfeststellungsklage können sogenannte „qualifizierte Einrichtungen“ bestimmte rechtliche Vorfragen durch ein Gericht klären lassen. Dabei muss es um Ansprüche gehen, die Verbraucher gegenüber einem Unternehmen geltend machen. Die Ansprüche können von bestimmten rechtlichen Voraussetzungen abhängen, zum Beispiel der Frage, ob das Unternehmen eine bestimmte rechtliche Pflicht gegenüber den Verbrauchern verletzt hat. Dass mit Musterverstellungsverfahren befasste Gericht kann hierzu nur Feststellungen treffen, die dann in einem anschließenden Klageverfahren auf eine konkrete Geldleistung nicht mehr geprüft, sondern als bindende Feststellung übernommen werden. Mit der Musterfeststellungsklage kann also niemand Ansprüche tatsächlich durchsetzen, sondern nur durch Feststellungen zu Vorfragen einen anschließenden Prozess erleichtern. Nur im Wege des Vergleichs lassen sich Forderungen durchsetzen, allerdings nur unter stark erschwerten Bedingungen wie wir weiter unten noch erörtern werden.
Hier wird bereits der gravierendste Nachteil dieses Verfahrens sichtbar: Es verkürzt nicht etwa ein individuelles Klageverfahren, sondern es schaltet dem individuellen Klageverfahren, das auf eine Geldleistung gerichtet ist, ein weiteres reines Feststellungsverfahren vor. Dieses Verfahren kann sich über mehrere Instanzen bis hin zum Bundesgerichtshof erstrecken. Im schlimmsten Fall können Jahre vergehen, bis es überhaupt zu bindenden Feststellungen kommt.
Das Wichtigste ist aber, dass es zum Thema Abgasskandal bereits eine äußerst umfangreiche und sich immer mehr verfestigende, insgesamt sehr verbraucherfreundliche Rechtsprechung gibt. Die überwältigende Anzahl der Landgerichte bundesweit verurteilen Hersteller und Händler zu Schadenersatz oder es werden in der Regel sehr gute Vergleiche erzielt.
Die meisten derjenigen Urteile, die z.B. zu Gunsten von Volkswagen ausgegangen sind, gehen überwiegend auf ein Gericht zurück: nämlich das Landgericht Braunschweig am Stammsitz von VW. Generell ist zu beobachten, dass die Gerichte in Niedersachsen kritischer mit diesem Verfahren umgehen als andere Gerichte bundesweit. Hier kommt die nächste Crux: zuständig für das Musterklageverfahren soll ausschließlich das Gericht am Gerichtsstand des Beklagten sein. Diese Änderung wurde in letzter Minute noch durchgedrückt. Zuständig ist also das bei einer Musterfeststellungsklage gegen VW das Gericht am Stammsitz von VW, mithin das Oberlandesgericht Braunschweig. Wer dagegen gleich individuell auf Leistung, also Zahlung eines konkreten Geldbetrags klagt, kann sich faktisch das Gericht aussuchen, denn es kann dann stets dort geklagt werden, wo das Auto gekauft wurde.
Nachdem sich über 400.000 Kläger der Musterfeststellungsklage eggen VW vor dem Oberlandesgericht Braunschweig angeschlossen hatten, konnte schließlich ein Vergleich erzielt werden. Vergleichsangebote erhielten jedoch nur knapp 260.000 Teilnehmer. Alle anderen standen mit leeren Händen da – weil Sie beim Kauf des Autos im Ausland wohnten oder dieses erst nach dem 31.12.2015 erworben hatten.
Das Ergebnis des Vergleichs war für viele Teilnehmer enttäuschend denn VW bot in den meisten Fällen nur wenige tausend Euro an. Im Vergleich: Bei einer Einzelklage können bis zu 100% des Kaufpreises erreicht werden.
Wer kann klagen und wie kann man klagen?
Klagen können wie erwähnt nur die qualifizierten Einrichtungen. Ob eine Einrichtung „qualifiziert“ ist kann auch nach Klageeinreichung vom Gericht überprüft werden, wenn begründete Zweifel daran vorliegen. Erfahrungsgemäß ist davon auszugehen, dass die Beklagten solche vortragen werden. Sollte sich dann herausstellen, dass die qualifizierte Einrichtung die Anforderungen nicht erfüllt, kann dies zu einer Unzulässigkeit der Klage führen.
Die Eintragung im Klageregister der jeweiligen Musterfeststellungsklage kann jeder Verbraucher auch ohne Anwalt und praktisch kostenfrei veranlassen. Durch die Eintragung in das Klageregister wird die Verjährung der eingetragenen Ansprüche gehemmt. Hier liegt für Verbraucher der Fallstrick im Gesetz. Denn nur eine wirksame Anmeldung hemmt auch die Verjährung der Ansprüche. Eine Anmeldung ist aber nur dann wirksam, so bestimmt der neue §608 ZPO, wenn sie frist- und formgerecht erfolgt ist. Dazu muss die Anmeldung bestimmte inhaltliche Anforderungen erfüllen, unter anderem den „Gegenstand und Grund des Anspruchs oder des Rechtsverhältnisses des Verbrauchers“ und „den Betrag der Forderung“ benennen. Gerade beim Abgasskandal dürfte es für juristische Laien äußerst schwer sein, den Betrag der Forderung richtig zu berechnen. Nach unserer Auffassung dürfte auch ein falscher Forderungsbetrag zur Verjährungshemmung führen, es stellt sich aber die Frage, ob zum Beispiel bei Nennung eines zu niedrigen Betrages, die Verbraucher mit ihren weitergehenden Ansprüchen im nachfolgenden Leistungsklageverfahren ausgeschlossen sind.
Zudem sollen die Verbraucher auch noch den Gegenstand und den Grund des Anspruches benennen. Dies ist ebenfalls für juristische Laien kaum möglich. Es stellt sich die Frage, welche Anforderungen daran zu stellen sind. Da es sich um ein Verfahren ohne Anwalt für Verbraucher handelt, sind unserer Auffassung nach daran sehr niedrige Anforderungen zu stellen. Von den Gerichten werden zum Teil sehr hohe Anforderungen an die Konkretisierung von Ansprüchen bei vergleichbaren verjährungshemmenden Maßnahmen gestellt.
Wie läuft das weitere Verfahren ab?
Nach Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage können weitere Ansprüche angemeldet und ins Klageregister eingetragen werden. Es beginnt dann ein schriftliches Verfahren in dem die jeweiligen Parteien des Rechtsstreits ihre Argumente austauschen. Irgendwann wird das Gericht einen Termin zur mündlichen Verhandlung der Streitsache bestimmen. Einen bestimmten Zeitraum hierfür legt das Gesetz nicht fest.
Enden kann das Verfahren auch durch einen Vergleich, dieser kann aber zwischen den Parteien nur unter erschwerten Bedingungen abgeschlossen werden und hier gibt es beim Abgasskandal gleich mehrere praktische Probleme.
Ein Novum ist, dass bis zur ersten mündlichen Verhandlung des Musterklageverfahrens ein faktisches Vergleichsverbot zwischen den Parteien gilt. Während sich in einem normalen Verfahren die Parteien eines Rechtsstreits jederzeit auch gütlich einigen können, so wird dies vom Gesetz bis zur mündlichen Verhandlung verboten. Einen Vergleich können die Parteien auch nicht einfach untereinander schließen, sondern das Gericht muss den Vergleich erst genehmigen. Dies soll die Parteien vor unangemessenen Vergleichen schützen.
Sollte sich aber zum Beispiel beim VW Abgasskandal das Oberlandesgericht Braunschweig der Auffassung des Landgerichts Braunschweig anschließen und als eines der wenigen Gerichte in Deutschland keine Ansprüche der Verbraucher bejahen, so könnte der Kläger eines solchen Musterverfahrens unter erheblichen Druck geraten, womöglich besser einen schlechten Vergleich abzuschließen als zu verlieren.
Wenn das Gericht davon ausgeht, dass Ansprüche nicht bestehen, so kann es aus seiner Sicht auch einen für den Kläger ungünstigen Vergleich genehmigen und zwar durch unanfechtbaren Beschluss. Wird ein solcher Vergleich vom Gericht genehmigt, so wird der Inhalt des Vergleichs den angemeldeten Verbrauchern mitgeteilt und diese haben nun eine Frist von einem Monat aus dem Vergleich wieder auszusteigen. Nur wenn mehr als 30 % der angemeldeten Verbraucher ihren Austritt aus dem Vergleich innerhalb dieser Monatsfrist erklären, wird dieser nicht wirksam. Anderenfalls entfaltet der Vergleich bindende Wirkung für alle angemeldeten Verbraucher, auch für diejenigen, die dem Vergleich nicht zugestimmt haben. Tatsächlich einen guten Vergleich für die Verbraucher zu erzielen wird so in der ersten Instanz nicht einfach. Lange Verfahren drohen.
Problematisch ist auch, dass die Zurücknahme des Antrags auf Registrierung im Klageregister nur bis zur mündlichen Verhandlung erklärt werden kann. Danach ist eine Rücknahme des Antrags ausgeschlossen. Erst in der mündlichen Verhandlung werden die Verbraucher aber erfahren, wie das Gericht die Rechtslage einschätzt. Ein Vergleich ist bis dahin schließlich verboten. Schon vor der mündlichen Verhandlung müssen die Verbraucher also letztendlich entscheiden, ob sie sich in die Gefahr begeben wollen, in einen möglicherweise von ihnen nicht gewollten Vergleich einbezogen zu werden. Auch hier gilt, dass Verbraucher ohne anwaltliche Hilfe unmöglich einschätzen können, wie die Chancen stehen und die Sach- und Rechtslage zu bewerten ist.
Für wen eignet sich die Teilnahme an einer Musterfeststellungsklage?
Für alle anderen verspricht eine Einzelklage größeren und schnelleren Erfolg.
Als Fazit ziehen wir, dass die Einführung einer Musterfeststellungsklage grundsätzlich eine gute Idee ist, diese Idee bisher aber noch nicht gut umgesetzt worden ist. Das Gesetz ist in erster Linie für sogenannte Bagatellansprüche gedacht und geeignet, für die es sich normalerweise nicht lohnen würde, eine Einzelklage anzustrengen. Gerade für die Ansprüche im Abgasskandal ist die Klage aber eher nicht geeignet, denn beim Autokauf geht es grds. um hohe Forderungen. Diese lassen sich bereits aktuell sehr gut vor Gericht durchsetzen und zwar – wie sich mittlerweile rumgesprochen hat – selbst vor den wenigen Gerichten, die die Ansprüche bisher ablehnen. Denn aufgrund des Drucks durch hunderte von bundesweiten Urteilen zu Gunsten von Verbrauchern bundesweit ist auch hier stets mit einem Einknicken der Hersteller zu rechnen.
Die Musterfeststellungsklage ist letztendlich nur ein Notnagel für diejenigen Verbraucher, die derzeit auf keinen Fall ein Kostenrisiko in diesem Zusammenhang eingehen wollen. Es ist aber fraglich, ob das Verfahren nicht im doppelten Sinne für diese Verbraucher am Ende für umsonst gewesen sein wird. Recht haben allein nützt niemandem, sondern man muss Recht bekommen und dies funktioniert derzeit sehr gut mit der individuellen Klage bei der am Ende der Gegner im Erfolgsfall die Kosten tragen muss.