Der Skandal im Skandal. Dem bekannten Abgasskandal geht der Skandal um das Autokartell voraus, das mit seinen Absprachen den Dieselskandal bei Euro 6 Fahrzeugen erst möglich gemacht hat. Daimler, BMW und VW (und damit auch Audi und Porsche) haben nach Auffassung der EU-Kommission seit den 1990er Jahren Absprachen unter anderem zur Technik der Abgasreinigung getroffen, die inzwischen als Autokartell bekannt geworden sind. Die EU-Kommission hat bereits ermittelt und müsste in Kürze ihre abschließenden Ergebnisse vorstellen – es droht ein Bußgeld in Milliardenhöhe.
Spiegel enthüllt Autokartell und Abgas-Absprachen
Im Sommer 2017 berichtete das Magazin „Der Spiegel“ in seiner Titelgeschichte über ein deutsches Autokartell, bestehend aus den Herstellern Daimler, BMW und VW. Den so genannten 5er Kreis komplettieren Audi und Porsche.
Seit den 1990er Jahren sollen sich die fünf Autobauer unter anderem über die Abgasreinigung ihrer Fahrzeuge ausgetauscht haben. In den Gesprächen soll es dabei nicht etwa darum gegangen sein, wie man diese möglichst verbessern könnte. Es wurde laut „Der Spiegel“ stattdessen besprochen, dass man eine weitere Entwicklung zurückhalten will. Dadurch sollten Kosten gespart und ein Wettbewerb verhindert werden.
Am 16. Oktober 2017 führten Mitarbeiter der EU-Kommission eine nicht angekündigte Nachprüfung bei BMW durch. Eine Woche später wurden die Ermittler auch bei VW und Daimler vorstellig.
Was sagen die Teilnehmer des Autokartells?
Daimler wies die EU-Kommission offenbar selbst auf das Autokartell hin und machte damit die Kronzeugenregelung geltend. So kann der Konzern darauf hoffen, dass ihm 100% des möglichen Bußgeldes erlassen wird. Auch VW soll sich als Kronzeuge gemeldet haben. Da der Konzern sich aber wohl erst als zweiter Teilnehmer des Kartells an die Behörden gewandt hat, kann nur noch ein Erlass von 50% im Raum stehen. Angesichts möglicher Bußgelder in Höhe von bis zu 10% des Jahresumsatzes würde auch dies noch eine erhebliche Erleichterung ausmachen.
BMW muss dagegen bei einer Feststellung des Verstoßes mit der vollen Härte der Bestrafung rechnen. Nach Veröffentlichung der Vorwürfe im Spiegel zeigte sich BMW aber keiner Schuld bewusst: „Diskussionen mit anderen Herstellern über AdBlue-Behälter zielten aus Sicht der BMW Group auf den notwendigen Ausbau einer Betankungsinfrastruktur in Europa ab“. Man suche auch in der Abgasreinigung den Wettbewerb.
Die Ermittlungen der EU-Kommission im Autokartell
Im September 2018 gab die EU-Kommission bekannt, dass sie eine eingehende Untersuchung hinsichtlich eines möglichen Verstoßes gegen das EU-Kartellrecht eingeleitet habe. Es solle näher untersucht werden, ob BMW, Daimler und VW (und somit auch Porsche und Audi) vereinbart haben, bei der Entwicklung und Einführung wichtiger Technologien zur Verringerung der Schadstoffemissionen von Benzinern und Diesel PKW nicht miteinander zu konkurrieren.
Am 05. April 2019 schließlich gab die Kommission bekannt, dass sie die Autobauer über die Beschwerdepunkte in Kenntnis gesetzt habe. Dabei vertritt sie die Auffassung, dass diese zwischen 2006 und 2014 gegen die EU-Kartellvorschriften verstoßen haben, es also ein Autokartell gegeben habe. Das Autokartell solle den Innovationswettbewerb im Bereich der Abgasreinigungssysteme absichtlich eingeschränkt haben.
Die Autobauer hatten anschließend die Möglichkeit, auf die Vorwürfe zu reagieren. Bis heute (Stand Oktober 2020, weit über ein Jahr nach Mitteilung der Beschwerdepunkte) gibt es keinerlei Informationen darüber, wie BMW, VW und Daimler reagiert haben. Das abschließende Ergebnis der EU-Kommission lässt deshalb weiter auf sich warten.
Was hat das Autokartell mit dem Abgasskandal zu tun?
Doch wie hängen das Autokartell und der Abgasskandal eigentlich zusammen? Bei den Absprachen des Autokartells ging es unter anderem auch um die Abgasreinigung und dabei sowohl um Diesel als auch Benziner. Bezüglich der Benziner soll es darum gegangen sein, die Einführung von Ottopartikelfiltern zu verzögern. Beim Diesel wurde mutmaßlich die Eindosierung von AdBlue besprochen. Der AdBlue-Verbrauch und damit auch die Wirksamkeit der Abgasreinigung sollte anscheinend begrenzt werden. So einigte man sich laut des Spiegel-Berichts auf den Einbau von 8 Liter AdBlue-Tanks. Zu klein, um die Abgasreinigung konstant durchzuführen. Den Autobauern soll klar gewesen sein, dass sie mit Tanks dieser Größe die gewünschte Typengenehmigung (beispielsweise Euro 5 oder Euro 6) für die Diesel Fahrzeuge nicht erreichen würden können. Demnach dürfte allen Beteiligten des Autokartells bewusst gewesen sein, dass sie alle tricksen werden müssten, um die Typengenehmigung zu erhalten.
Daraufhin entwickelte sich der Abgasskandal bei den Euro 6 Fahrzeugen mit AdBlue. Die Autohersteller nutzten zahlreich unzulässige Abschalteinrichtungen, die erkennen konnten, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand war. Daraufhin wurde die Abgasreinigung hochgefahren, so dass positive Ergebnisse erzielt und die Grenzwerte für die gewünschte Typengenehmigung erreicht werden konnten. Im Realbetrieb auf der Straße dagegen wurde die Abgasreinigung reduziert oder gar ganz abgeschaltet und es wurden weit mehr Stickoxide ausgestoßen als erlaubt.
Das Autokartell dürfte somit ein zentraler Hintergrund für den Abgasskandal bei Euro 6 Fahrzeugen mit AdBlue gewesen sein.
Verbraucher leiden unter dem Autokartell
Unter den Folgen des Abgasskandals leiden deutsche Autofahrer ganz erheblich. Sie müssen sich mit Software-Updates herumschlagen, deren Langzeitwirkungen noch nicht bekannt sind. Immer mehr Fahrer berichten aber schon von negativen Erfahrungen und technischen Problemen nach dem Update. Weigern sie sich, das Update durchzuführen, droht die Zwangsstilllegung des Fahrzeugs. In immer mehr Städten gelten zudem Diesel Fahrverbote. Zudem leiden Diesel Fahrzeuge allgemein unter einem starken Wertverlust. Ganz unabhängig davon, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden ist oder nicht.
Das Autokartell sorgt nun für noch mehr Ärger. Denn wie die EU Kommissarin für Wettbewerbsrecht Margrethe Vestager erklärte, könnte Verbrauchern in Europa durch das Autokartell die Möglichkeit verwehrt worden sein, Fahrzeuge mit der besten verfügbaren Technologie zu kaufen. Deutsche Autofahrer mussten anscheinend unnötigerweise mit dreckigen Autos fahren, einfach weil die Hersteller mit ihrer Absprache vermutlich dafür gesorgt haben, dass die Technik für die Abgasreinigung nicht auf dem neuesten und besten Stand war.